Juni - Juli 2024

con passione

Schloss Tiengen

 

 

Eigens für die Ausstellung in Tiengen beschäftigte ich mich eingehend mit dem hier geborenen Komponisten Heinrich Kaminski (1886-1946). In den vergangenen zwei Jahren entstand ein wandfüllendes Tableau aus großformatigen und aufwändigen Schablonendrucken (pro Bild jeweils acht Schablonen) sowie Material-Collagen. Sie zeigen Kaminski als schillernden Künstler und machen aber auch den brutalen Bruch in seinem Schicksal deutlich: Durch die Verfemung im NS-Regime wird er seines Gesichts beraubt und unsichtbar gemacht. Die verschiedenen Farbkombinationen der einzelnen Leinwände bilden gleichsam unterschiedliche Farbakkorde, die entweder harmonisch oder aber dissonant wirken mögen. In den kleinformatigen Cyanotypien sind Zeilen aus Kaminskis Notenhandschriften eingefügt, wie sie im Kaminski-Gedenkraum im Schloss Tiengen zu sehen sind.

 

Kaminski-Tableau 180 x 400 cm

 

Adelheid Pohl (Freiburg) in ihrer Einführungsrede am 15.6.2024

Zur Bilderwand Ikonostase: „Stadler versucht, die Aufmerksamkeit der Betrachter von den Inhalten des Bildmediums auch auf die Art der medialen Vermittlung zu lenken. [Es lohnt sich,] einen Blick auf die angewandten Drucktechniken zu werfen. Ein konkretes Beispiel liefert das Porträt von Yagiz …, das einmal als Siebdruck und einmal als Schablonendruck erscheint. Hier wird das künstlerische Verfahren selbst zum unübersehbaren Hauptakteur. [Und] die drei leeren … gesichtslosen Flächen sind keine mit den anderen vergleichbare Porträts, sondern Spiegelbilder des Mediums Bild als Medium.“

Zur Porträtserie Quartetto Italiano: „Schön, wie Stadler hier mit der Wirkung von Licht und Farbe in fein nuancierten Variationen spielt und so die serielle Reproduktion zum Thema macht. Harald Stadler ist nicht nur ein beeindruckender Künstler, sondern auch ein überzeugter `Serientäter´.“

Zum Tableau Heinrich Kaminski: [Hier sehen wir] „einen beeindruckenden Porträtzyklus, dessen organisches Gefüge und rhythmische Struktur Ähnlichkeit mit einer `Suite´ hat. Es ist diese musikalisch interpretierte Abfolge des Kaminski-Porträts vom zarten Legato bis zum kecken Staccato, die dem Betrachter immer wieder neue Zeitfenster öffnet und folgenreiche Augenblicke im Leben von Kaminski in Erinnerung bringt. Am Anfang, wie ein elegisches Seelengemälde, sein blasses, leicht nach rechts gerichtetes Gesicht, das der breitrandige, schräg gesetzte Hut galant verschattet. Seine Augen, von distanzloser Direktheit mit einem Hauch von intellektueller Kühle und leiser Melancholie sind auf einen imaginären Betrachter gerichtet. Der Raum öffnet sich, schablonenhafte Abgeklärtheit wandelt sich in Mehrstimmigkeit. Es entsteht eine Transparenz von farbigen Klangmischungen mit Zwischen- und Halbtönen, deren enthusiastisches Rot und mystisches Blau Dynamik und Glanz in das ästhetische Pathos bringen. In der Reihe darunter das elegante Staccato der drei Hüte wie die Notenschrift einer gleitenden Terz in den Autografen von Kaminski. Kaminski ist auf der Höhe seines Ruhms angelangt. Aber dann 1938 in der Mitte seines Lebens der Bruch: Wegen seiner jüdischen Abstammung erhält er Arbeits- und Berufsverbot. Sein zerbrochenes, geradezu explodierendes Spiegelbild erinnert an die Gewaltszenen der sog. Reichskristallnacht, als Glasfenster und Spiegel eingeschlagen, Bilder zerstochen wurden. Darunter Kaminskis vergittertes Zerrbild, ein Ausdruck inneren Erlebens von Gewalt. Und ganz unten der leere, nutzlos gewordene, beiseite gestellte Bilderrahmen, in dem Kaminski – am Rande des Verstummens – nur noch als mystischer Widerhall eines Requiems umrisshaft präsent zu sein scheint. Aber das ist nicht das Ende. Einen Spaltbreit entfernt formiert sich eine weitere Sequenz mit drei malerisch durchkomponierten, farblich ausgereiften Porträts, auf denen Kaminskis Blicke nicht zurück in die Vergangenheit, sondern kraftvoll in die Zukunft gerichtet sind, die Zukunft seiner Musik und seines Publikums.“

 

"Heinrich Kaminski" Cyanotpyien 30 x 20 cm

 

August 2023

LEBENSLINIEN

Altes Gefängnis Freising

 

 

Passend zum Ambiente des historischen Gefängnisses in Freising präsentiere ich erstmals

zwei neue Werkreihen, die sich mit Attentaten befassen: Opfern und Tätern. Die beiden

Serien „Ermordete römische Kaiser” und „Assassins. Attentäter amerikanischer Präsidenten” können als „Studien zur Ikonografie von Gewalt” verstanden werden.

Es geht dabei um die Fragen: Wie lässt sich Gewalt ins Bild setzen? Und wie können Mörder bildhaft heroisiert, romantisiert oder dämonisiert werden? Die verwendeten Techniken sind Linolschnitt, Transferlithografie, Mischtechnik, Collage, Schablonendruck und Digitaldruck. 

Der Titel der Ausstellung knüpft an die Frage an, wie sich Lebensläufe mit bildnerischen Mitteln nachzeichnen lassen.

 

 

Juni 2023

ZEICHEN UND ZEITEN

Abstraktionen und Porträts im Dialog

mit Maja Jiranek

Schloss Blutenburg Obermenzing

 

In der neuen Serie „Quartetto Italiano: Vier italienische Komponisten“

werden die Porträts von Monteverdi, Vivaldi, Donizetti und Verdi mit der Technik des klassischen Holzschnitts dargestellt und zugleich musikalische Begriffe

wie Rhythmus, Dynamik, Klangfarbe und Variation visuell umgesetzt.

 

2022

SEQUENZEN

Gruppenausstellung Farbholzschnitt

VHS München Einsteinstraße 28

 

Der Farbholzschnitt eignet sich ideal dafür, mithilfe verschiedener Farbvarianten oder unterschiedlich vielen Druckstöcken spannende Sequenzen zu erschaffen. Diese Serien von Variationen umfassen zum einen abgeschlossene Werke sowie works in progress und veranschaulichen zum anderen den Entstehungsprozess selbst. Auf diese Weise wird das prozesshafte Arbeiten in der Kunst mit seinen vielfältigen technischen Schritten und ästhetischen Entscheidungen sichtbar. Form und Ausdruck eines Motivs können sich innerhalb einer Sequenz deutlich entwickeln und verändern. Der Blick des Betrachtenden wird eingeladen, zwischen den Variationen zu wandern, und kann dabei zugleich äußere Unterschiede registrieren als auch die eigene Wahrnehmung und innere Empfindungen – etwa Vorlieben für Formen und Farben – reflektieren. 

 

         

Harald Stadler "Sequenzen": Luca Signorelli, Yagiz, Sandro Botticelli, Farbholzschnitte jeweils 30x22 cm

 

 

September 2021 

AUGEN–BLICKE

PORTRÄTS

Mohr-Villa Freimann

Situlistraße 73, Kaminzimmer

   

 

Abbildungen siehe Galerie -> Porträts

 

Themenkreis und Credo

Seit Jahren beschäftige ich mich intensiv mit der Bildgattung des Porträts. Mein künstlerisches Credo knüpft an Fausts Wette mit Mephistopheles an (J. W. Goethe, Faust I, V 1699-1702): 

Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!

 

Fausts Bekenntnis wird von mir jedoch negiert. Meine Losung lautet:

Werd ich zum Augenblicke sagen:

Verweile doch! du bist so schön!

Dann hast du mich in Bann geschlagen,

Dann will ich nicht mehr von hier gehen!

 

Goethe selbst hat sich bei aller Begeisterung für Erkenntnisdrang und Erlebnishunger sehr kritisch über die Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit seiner eigenen Zeit geäußert. Für ihn lag das Seelenheil nicht in der Sensation. 

Hier nehme ich eine ebenso zeitkritische Haltung ein, die nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Position markiert. Meine Arbeiten stellen sich modischen Trends wie der Selfie-Manie entgegen, die das menschliche Antlitz zu etwas Allgegenwärtigem und allseits Verfügbarem macht und es häufig zugleich entwertet und sinnentleert.
 

Das Porträt rückt – wie kaum eine andere Bildgattung – den Menschen in den Mittelpunkt. Es ist gleichbedeutend mit Dialog, Austausch und visueller Kommunikation. Meist bilde ich historische und zeitgenössische Personen ab, um „allgemein Menschliches“, Zeitspezifisches und ganz Individuelles sichtbar zu machen. Ich nähere mich meinen Sujets diskret, aber nicht distanziert; eigenwillig, aber nicht manipulativ. Die Porträts zielen nicht auf schrille Provokation ab, sondern laden zu einer Vertiefung ein, die mit wohltuender Einfühlung einhergeht.

Meine Bildnisse zeigen Menschen, die nichts anderes tun, als auf ein Gegenüber oder in den Raum zu blicken. Diese Augen, die blicken, verlangen nach einem ebenso intensiv gerichteten Gegenblick. So entsteht ein Dialog – zwischen Bild und Betrachter und auch zwischen den Porträtierten. Die Bilder laden zu einer Betrachtung ein, die dem Kick entgegentritt und ein bewusstes Innehalten zulässt – eine Art „Andacht“ (siehe unten „Ikonostase“). Sie sind gleichsam Slowfood für das Auge. 

Das Betrachten des breiten Porträtspektrums lädt zu Fragen ein: Gibt es ein „typisches“ Antlitz der Renaissance oder der Moderne und wenn ja, wie sieht dieses aus? Welche Merkmale von Gesichtern sind modischen Erscheinungen zuzurechnen (Haartracht, Kopfbedeckung) und welche sind zeitlos? Wie wirkt ein vermeintlich „typisches Renaissance-Gesicht“, wenn es in der charakteristischen Stilistik der modernen Popkunst wiedergegeben wird, etwa im farbenfrohen Siebdruck? Oder wie erscheint der Freskenkünstler Signorelli in einem Holzschnitt, der sich an die Manier der frühen Moderne anlehnt? Entstehen durch solche „Übersetzungen“ Brüche oder Brücken?

 

Technik und Stilistik 

Bewusst greife ich auf traditionelle Drucktechniken zurück, die ich aber stilistisch breche und experimentell erweitere. Eine Werkgruppe kreist um epochentypische Bildnisse (Renaissance, Barock, Klassizismus), die jedoch in ihrer Formgebung gleichsam durch die gesamte Kunstgeschichte zurück und voraus projiziert werden: So erinnert das Werk Hommage an Aspertini zugleich an Mumienporträts, byzantinische Ikonen, mittelalterliche Fresken oder Tafelmalerei und auch an gesprühte Schablonenbilder aus der zeitgenössischen Street Art.

Drucktechniken wie Farbholzschnitt, Siebdruck und Pochoir eignen sich besonders gut dafür, die Prinzipien der Serie und der Variation auszuloten, denn diese Verfahren machen sichtbar, welche „ästhetischen Entscheidungen“ des Künstlers zu welchen bildlichen Ergebnissen und visuellen Eindrücken führen. Bei vielen meiner Serien betreibe ich systematische Farbwirkungsstudien, stets auf der Suche nach schwingenden Farbakkorden.

 

Präsentation

Nicht nur in meiner Technik und Stilistik begegnen sich Tradition und Innovation, auch Rahmung und Hängung verbinden moderne Methoden (Serie, Collage) mit überlieferten Konzepten, etwa dem der „Ikonostase“ (der Ikonenwand in der Ostkirche). Die Bildniswand lädt zu besinnlichem Verweilen ein; sie will in Ruhe gelesen" werden. 

 

Druckversion | Sitemap
© Homepage Harald Stadler, München, Germany